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Neu: Kurzfassung „Kinderschutzleitlinie“

28.10.2019

Jetzt gibt es auch eine komprimierte Fassung inkl. aller Handlungsempfehlungen samt Schaubildern und Ablaufschemata.

Fragen an Dr. Bernd Herrmann, der die DGKJ bei der Erstellung der Leitlinie vertrat und der als Mitglied der Steuerungsgruppe die "Kindesmisshandlung, - missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik (Kinderschutzleitlinie)" die Erarbeitung der Leitlinie koordiniert hat:

Anfang 2019 erschien die Leitlinie „Kindesmisshandlung“ im AWMF-Register. Welches Echo gab es bislang?

Die Resonanz auf die Langfassung ist sehr gut. Die häufigste Kritik ist, dass die Langfassung zu umfangreich ist und es einen erheblichen Zeitaufwand bedeutet, diese zu lesen. Hervorzuheben ist aber auch, dass es nach den Rückmeldungen der Leser kein besonderes Vorwissen bedarf, um Zugang zur Leitlinie zu finden. Die Langfassung wurde als Druckexemplar von zahlreichen ärztlichen Kollegen, von Kinderschutzgruppen und Behörden, Jugendämtern, Beratungsstellen oder Schulen für Fort- und Weiterbildung angefragt. Gedruckt würde die Langfassung 358 Seiten umfassen, die kürzlich veröffentlichte Kurzfassung nur 63 Seiten – sie ist deutlich leichter zu handhaben und attraktiver zu lesen.

Wie relevant ist die Leitlinie bei der täglichen Arbeit der Kinderärzt*innen, inwieweit unterstützt sie die Versorgung von Kindern?

Die Leitlinie gibt zunächst einen Überblick über zentrale Kinderschutzfragen und Ansätze, wie an Kinderschutzfälle herangegangen werden kann. Dies beinhaltet vor allem den Umgang mit dem §4 KKG und beschreibt Empfehlungen für das Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen als auch mit den Eltern. Hier werden sowohl Zahnärzte als auch Erwachsenenmediziner und Kinderärzte angesprochen.

Es werden insbesondere detaillierte Handlungsempfehlungen für das Vorgehen bei Verdacht auf eine körperliche Misshandlung bei Kindern bis drei Jahre als auch bei Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch bei Kindern bis 18 Jahre beschrieben. - Die Einbindung von Erwachsenenmedizinern als Zugang für die Vermittlung von Hilfen und Unterstützungen von Familien bei Belastungen in der Schwangerschaft, bzw. bei Familien mit psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen oder Häuslicher Gewalt sind ein zentraler Inhalt der Leitlinie und als präventiver Kinderschutz zu verstehen.

Auf welche Versorgungslücken sind Sie bei der Erarbeitung der Leitlinie gestoßen, wo besteht Handlungsbedarf?

Es bestehen deutliche Versorgungslücken in der ambulanten Versorgung. Die derzeitigen finanziellen und personellen und zeitlichen Möglichkeiten und Ressourcen der niedergelassenen Kinderärzte zur adäquaten Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Verdacht auf eine Vernachlässigung oder Misshandlung sind deutlich ungenügend. Ein interdisziplinäres Versorgungsangebot zwischen den Systemen ist nur vereinzelt in manchen Regionen vorhanden, aber nach unserer Einschätzung noch lange nicht ausreichend, und darüber hinaus nicht genügend untersucht und evaluiert, um sie zuverlässig einschätzen zu können. Die beginnende Etablierung von Kompetenzzentren - wie unlängst in NRW -, ist hier eine erste hoffnungsvolle Entwicklung.

Und wie sieht es auf stationärer Ebene aus?

Hinsichtlich der stationären Versorgung stellen wir hingegen in den letzten 10 Jahren eine erhebliche qualitative und quantitative Verbesserung fest: Von unter 10 Kinderschutzgruppen, wie sie 2008 bei Gründung der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) bestanden, haben sich mittlerweile über 170 gegründet, die überwiegend nach den Prinzipien des DGKiM & DAKJ Leitfadens von 2010 arbeiten.

Auch die ehemalige AG KiM - Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin, heute: DGKiM,  hat eine enorme Entwicklung zu verzeichnen.

Ja, die DGKiM hat ihre Mitgliederzahl von 26 bei Gründung auf knapp 500 vergrößert. Jährliche Tagungen der DGKiM seit 2009 (Kassel 2018 mit 470 Teilnehmern), die fachpolitische Verankerung der DGKiM im Konvent der DGKJ, die regelmäßige Präsenz von interdisziplinären DGKiM/Kinderschutz-Symposien auf den DGKJ-Jahrestagungen, das Zertifikat Kinderschutzmedizin und die Akkreditierung von Kinderschutzgruppen und eigene Ausbildungsangebote der DGKiM (Kasseler Fortbildung etc.) haben zur festen Etablierung und Verstetigung der Kinderschutzmedizin als eigenes kinder- und jugendmedizinisches Fachgebiet beigetragen.

Wie muss es aus Ihrer Sicht weitergehen?

Die Einführung der OPS Kinderschutz 2018 ist ein erster, wenngleich noch nicht ausreichender Schritt in die Finanzierung des medizinischen Kinderschutzes. Überwiegend ist fachlich guter Kinderschutz in Kliniken weiterhin vom Engagement einzelner Akteure abhängig und noch nicht selbstverständliches Angebot der Regelversorgung. Hier wären Vorgaben wie in Österreich, die gesetzlich Kinderschutz in Kinderkliniken vorschreiben, wünschenswert und hilfreich, beispielsweise über G-BA Vorgaben.

Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen erfolgt bislang noch nicht selbstverständlich. Es besteht große Unsicherheit bei Ärzten und Ärztinnen im Umgang mit einwilligungsfähigen Minderjährigen. Es besteht eine Unsicherheit und fehlende Schulung, bzw. Unkenntnis bei Fachkräften, Situationen bei Verdacht auf eine Gefährdung des Kindes mit den Beteiligte, also Kindern und Jugendlichen und ihren Personensorgeberechtigten zu erörtern. Die Kenntnisse und Durchführung zur Durchführung einer strukturierten Befragung bei Verdacht auf Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch im klinischen Alltag sind sehr unterschiedlich und die Gegebenheiten im Gesundheitswesen sind nicht darauf ausgelegt.

Insgesamt können wir im letzten Jahrzehnt eine fulminante und sehr erfreuliche Entwicklung des medizinischen Kinderschutzes in Deutschland feststellen, bei weiterhin noch deutlichem Bedarf im ambulanten kinderärztlichen Bereich und in der Vernetzung der Akteure des Gesundheitswesens mit den übrigen Systemen. Trotz OPS Kinderschutz besteht weiterhin die Notwendigkeit, die Finanzierung und Verstetigung als Teil kinder- und jugendärztlicher Regelversorgung sowie die flächendeckende Umsetzung der in der AWMF-Kinderschutzleitlinie gewonnenen Erkenntnisse und Handlungsvorgaben voranzubringen.

 


Weitere Informationen:

Sämtliche Dokumente (u.a. auch Kitteltaschenkarten oder Kinder-/Jugend-Versionen) finden Sie unter https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-069.html.

s.a.: https://www.dgkim.de/

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