Kindergesundheit in Armenien



Kindergesundheit in Armenien

Vorstellung des Projekts

Das Projekt „Unterstützung der Kindergesundheit in Georgien: Aus-und Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin durch deutsche Hochschullehrer in Tiflis, Georgien“ wurde im Laufe des letzten Jahres, in enger Rücksprache mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), aus verschiedenen Gründen umgewidmet. Der DGKJ ist die internationale Zusammenarbeit jedoch weiterhin ein wichtiges Anliegen. Daher hat der Vorstand der DGKJ nach entsprechenden Vorsondierungen in Yerewan, Armenien, durch Prof. Wagner als Projektleiter sowie Prof. Jürgens und Prof. Seidenberg, und mit Zustimmung des BMG das Projekt „Unterstützung der Kindergesundheit in Armenien: Aus- und Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin durch deutsche Hochschullehrer/innen in Yerewan, Armenien“ aufgesetzt. Das Projekt wird durch das BMG finanziert, welches die anfallenden administrativen- und Reisekosten übernimmt. Die Professor/-innen, die im Rahmen des Projekts nach Armenien reisen, engagieren sich dabei rein ehrenamtlich.

Die Aufenthalte sind pro Semester für jeweils zwei Wochen an der Yerewan State Medical University (YSMU) in Yerewan geplant. Neben einem Erfahrungsaustausch mit dem Fachpersonal vor Ort steht die Unterstützung der Qualifizierung im Fokus und damit das Ziel, die gesundheitliche Versorgung von Kindern in Armenien zu verbessern. Die Gastprofessorinnen und Gastprofessoren beteiligen sich an der Lehre, halten Postgraduiertenvorlesungen für armenische Kinderärztinnen und -ärzte, diskutieren über besondere Fälle und über Forschungsmöglichkeiten. Falls auch Sie Interesse an einer Teilnahme an dem Projekt haben, können Sie sich gerne jederzeit unter office@dgkj.de melden!


Ein Erfahrungsbericht

Prof. Dr. med. Klaus-Michael Keller aus Wiesbaden berichtet über seinen zweiwöchigen Einsatz im November 2024

Bereits die Ankunft in Yerevan nach einem Nachtflug von Frankfurt aus machte deutlich, wie freundlich und entgegenkommend mein Aufenthalt verlaufen würde: Ein Kollege der Klinik stand mitten in der Nacht am Ausgang, um mich abzuholen! So sollte es in den nächsten 14 Tagen weitergehen, denn regelmäßig brachte mich jemand aus dem Team der Kinderklinik morgens zur Arbeit und abends wieder zurück in mein Hotel. Meine Unterkunft mitten in der Innenstadt war sehr kommod, fußläufig gibt es zahlreiche Restaurants, Clubs und Sehenswürdigkeiten. Die Universitätskinderklinik Muratsan liegt ziemlich weit weg davon. Für die Transfers durch die Kollegen war ich dankbar, denn ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem gibt es nicht, entsprechend dicht und oft chaotisch ist der Verkehr, dominiert von stark motorisierten und schweren PKWs. Diese Fahrten gaben gute Gelegenheiten für einen persönlichen Austausch mit den Kollegen, sodass man sich mit der Zeit ganz gut kennenlernen konnte!

Die Menschen in der Klinik in Yerevan waren unglaublich warmherzig, freundlich, motiviert, wissbegierig und sehr interessiert an dem klinischen und wissenschaftlichen Austausch. An vielen Abenden wurde ich obendrein als Gast zu außerklinischen Aktivitäten eingeladen. Es war sehr schwierig, mich zu revanchieren – ich sei doch schließlich ihr Gast!

Die Universitätskinderklinik Muratsan ist sehr groß, mit zahlreichen Abteilungen samt Kinderchirurgie, pädiatrischer Traumatologie und Orthopädie, HNO mit Zahn-Mund-Kieferchirurgie, Radiologie, Neonatologie (Referenzzentrum, d.h. quasi Level-1-Zentrum für Yerevan), Intensiv, Endokrinologie und Infektiologie, CF etc., keine Onkologie. Es gibt einen Neuropädiater, eine Gastroenterologie. Durchgeführt werden nur obere Endoskopien. CTs und MRTs erfolgen in einem anderen Klinikum. Es gibt eine Kammer für hyperbare O2-Therapie anlässlich zahlreicher CO-Intoxikationen durch technisch unzureichend abgesicherte Heizungen. Die Toxikologie-Abteilung ist ebenfalls sehr groß (vor allem Alkohol- und Nikotin- sowie Medikamentenintoxikationen). Die Poliklinik ist jeden Tag überfüllt mit vielen Menschen aus einem bestimmten Bezirk von Yerevan, die mit ihren Kindern zu „babychecks“, für Impfungen und zur Lösung akuter Probleme eintreffen, was bei uns in den pädiatrischen KV-Praxen niedergelassener Kollegen und Kolleginnen abläuft.

Die Klinikdirektorin Dr. Apresyan, pädiatrische Gastroenterologin, vor allem aber Infektiologin, war für mich zuständig – und immer ansprechbar. Sie ist eine internationale Expertin für viszerale Leishmaniose, die in der Regel molekulargenetisch diagnostiziert wird durch die in Armenien häufigen Mutationen. So viele Leishmaniosen habe ich noch nie gesehen. Zwei Fälle von septischer Granulomatose wurden nachgewiesen, und natürlich gab es auf den Infektionsstationen viele akute gastrointestinale und respiratorische Infektionen. Es wird sehr viel intravenös rehydriert und antibiotisch behandelt, z.T. dadurch bedingt, dass eine Begründung für den stationären Aufenthalt an höherer Stelle geliefert werden musste.

Die Mütter/Väter/Großmütter sind stets mit aufgenommen, um das Kind zu füttern und zu versorgen. Orale Rehydrationsbemühungen habe ich nicht gesehen, Antibiotika wurden m. E. zu viel und zu breit indiziert, offenbar gibt es erhebliche Resistenzprobleme. So viele retropharnygeale oder retrotonsilläre Abszesse waren mir aus meinen Akutklinikszeiten nicht erinnerlich. Ein „antibiotic stewardship“ ist bislang nicht etabliert. Eltern können sich Antibiotika „over the counter“ selbst kaufen und einsetzen. Einfaches orales Penicillin zur Behandlung einer Tonsillitis ist nicht verfügbar, weil der Hauptlieferant Ukraine ausgefallen ist! Leider gibt es z.B. auch Fluticason zur Inhalation nicht, sodass systemisch Steroide verabreicht werden müssen. Infusionen werden durch die Schwestern gelegt, die auch die Blutentnahmen machen. Nicht so selten kam es zu Thrombophlebitiden, sodass es zu Diskussionen bezüglich einer verbesserten Hygiene kam.

Die hyperbare O2-Kammer wurde öfters eingesetzt, weil es aufgrund der zunehmend kälteren Witterung vermehrt zu CO-Intoxikationen infolge inadäquaten Heizungsverhaltens bzw. Lüftens in der häuslichen Umgebung kam. Auf den chirurgischen Stationen habe ich Fälle mit Kurzdarm, multiplen Jejunalatresien und M. Hirschsprung mit totaler Aganglionose gesehen und mit den Kol[1]legen diskutiert. Leider sind die finanziellen Ressourcen nur für 9 Tage parenterale Ernährung gesichert, was zu unlösbaren Problemen führen kann.

Dr. Apresyan und eine Kollegin aus der CF-Ambulanz sowie die Kinderchirurgen hatten einige chwierige Fälle zum Konsil mit mir einbestellt, was ebenfalls sehr interessant (und absolut vergleichbar mit den eigenen Abläufen in deutschen Kinderkliniken) war: große Ängste der Eltern infolge eigener Recherchen im Internet und hoher zeitlicher Gesprächsbedarf. Die große Krankheitsgruppe funktioneller gastrointestinaler Störungen („disorders of gut-brain interaction“, DGBI) ist noch nicht überall flächendeckend bekannt, sodass noch zu viele invasive Maßnahmen inkl. Operationen zumindest in Betracht gezogen werden.

Eine Digitalisierung gibt es nicht, daher noch mehr Papier als bei uns. Die Ärztinnen und Ärzte schreiben auf ihren privaten Computern die Arztbriefe und geben das Labor händisch ein. Bei Unkenntnis der Landessprache sorgen nicht nur die Krankheitsverläufe in armenischer Handschrift für Probleme, schon die Beschriftungen der Räume sind für uns nicht zu entschlüsseln. Ziemlich gewöhnungsbedürftig war das ständige Handygeklingel, was ich so im Alltag nicht aushalten könnte. Ebenfalls ungewohnt für uns: Die Hierarchie und Kontrolle aus sowjetischen Zeiten spielt offensichtlich eine enorme Rolle, etwa indem tägliche Rapports an die vorgesetzten Stellen eingehalten werden müssen. Die Klinik bekommt pro Patient einen gewissen Geldbetrag, von dem letztlich auch die ärztlichen Angestellten bezahlt werden. Residents müssen sich selbst finanzieren. Die Behandlung ist frei für die Patienten. Der von der Regierung ausgewiesene Betrag bleibt gleich, ob es sich um eine einfache akute Gastroenteritis handelt oder um z.B. eine viel „teurere“ Behandlung einer viszeralen Leishmaniose. Maximale Bezahlung pro Patient: 9 Tage. Ein „watchful waiting“ ist in diesem System nicht vorgesehen, sodass Kinder oft an eine „intravenöse Leine“ gelegt werden.

Die Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind gut etabliert. Es gibt neben dem bedside-teaching wöchentliche Staff-Meetings zur Diskussion schwieriger Fälle als auch Fallpräsentationen durch die Studierenden und durch Residents. Ich habe jeden Tag eine Vorlesung gehalten, mehr als ich erwartet hatte, sie wurde regelrecht eingefordert und wurde gut besucht. Die Struktur meiner Vorlesungen, von einem selbst erlebten Fall auszugehen, Fragen und Antwortmöglichkeiten einzubauen, um dann mit dem allgemeinen Thema abzuschließen, wurde sehr gut aufgenommen. Themen waren u. a. rezidivierende Bauchschmerzen, Obstipation, akute Gastroenteritis, Zöliakie, Helicobacter pylori aber auch M. Wilson und autoimmune Hepatitis. Zuhörende waren Studierende auch aus dem Ausland (Iran, Seychellen, arabische Länder) und Klinikkolleginnen und -kollegen.

Zahlreiche Wünsche für nächste Besuche weiterer Spezialisten wurden an mich bereits herangetragen: So z. B. ein/e Stoffwechselspezialist/-in, um den Ärzten und Ärztinnen in Yerivan Grund- und erweiterte Kenntnisse zu vermitteln. Im NG-Screening ist offenbar nur AGS, PKU und Schilddrüse enthalten, jetzt soll noch das CF-Screening dazukommen. MCAD, Galaktosämie, Immundefekte, Sichelzell-Krankheit werden nicht erfasst. Ferner wäre ein „nutritionist“ hilfreich, der/die in den 14 Tagen ein Trainingsprogramm für die doch sehr zahlreichen Ernährungsfragen und -beratungen aufstellt und durchzieht. Dr. Apresyan sieht hier besonderen Schulungsbedarf, vor allem bezüglich der Ernährung des Säuglings in allen möglichen Situationen, z.B. postchirurgisch, Kurzdarm, Cholestase, Allergien, postenteritisch etc.

Ich persönlich fand diese 14 Tage sehr bereichernd und interessant. Die Zeit verging wie im Flug. Die Kollegen sind hoch motiviert und interessiert daran, dass dieses Projekt weitergeführt wird. Sie geben ihr Bestes, auch wenn nicht immer alles verfügbar ist, was für uns selbstverständlich ist. Ich gewann auch den Eindruck, dass mein Einsatz sehr wertgeschätzt wurde. Es gibt viel Gelegenheit auch zu persönlichem Austausch über Klinikfragen hinaus. Meine Kolleginnen und Kollegen gaben sich alle erdenkliche Mühe, mir Armenien, seine 3000 Jahre alte Kultur eines christlichen Landes und seine Menschen näher zu bringen. Politische Spannungen, wie sie zur Zeit im nördlichen Nachbarland Georgien auftreten, habe ich nicht erlebt. Verbindungen zu Deutschland sind sehr zahlreich, zumal die Mehrzahl der insgesamt 10 Millionen Armenier im Ausland wohnt.

Ich werde jedenfalls gerne wieder dorthin fliegen, wenn sich die Gelegenheit 2025 ergibt.

Prof. Dr. med Klaus-Michael Keller

Weitere Informationen/ Kontakt:

Prof. Dr. Norbert Wagner
DGKJ-Geschäftsstelle
office@dgkj.de