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Patient Kinder- und Jugendgesundheit

02.01.2023

Ausblick des DGKJ-Generalsekretärs auf dringliche Aufgaben für 2023

Die Infektwelle (RS-Viren, Influenza u. a.) in den letzten Wochen hat mehr als deutlich gezeigt: Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin befinden sich in einer prekären Situation, u. a. hervorgerufen durch eine systembedingt generelle Unterfinanzierung der Kliniken. Dies ist langfristig nur durch eine grundlegende Umstrukturierung des DRG-basierten, fallzahlabhängigen Vergütungssystems der Pädiatrie zu lösen. Die DGKJ hatte hierfür Lösungsansätze vorgelegt, deren Zeitdruck in der aktuellen Situation mehr als sichtbar geworden ist. Erste wichtige konzeptionelle Schritte wurden von der DGKJ in Kooperation mit der Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKinD) und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) seit 2019 erarbeitet und in die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Mai einberufen hatte, eingebracht. In Zukunft muss eine fallzahlunabhängige Vorhaltekostenerstattung das bisherige System ergänzen.

Stabilisierung der Versorgungssituation

Es fehlt an stationären Versorgungskapazitäten für Kinder. Eines der primären Probleme ist neben der Finanzierungsproblematik dabei nicht allein ein Bettenmangel, sondern zusätzlich der Fachkräftemangel, insbesondere in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Die Bundesregierung muss wie im Koalitionsvertrag angekündigt, kurzfristig umsetzbare Lösungen schaffen. Die aktuellen Finanzspritzen in Form von Übergangslösungen wie in dem im Dezember beschlossenen Krankenhauspflegentlastungsgesetz (KHPflEG) haben keinen langanhaltenden Effekt. Trotzdem begrüßt die DGKJ die Bereitstellung der mit dem Gesetz beschlossenen zusätzlichen Finanzmittel von zunächst 270 Mio. Euro für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Eine zielgerichtete zusätzliche Finanzierung von Kliniken und -abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin wäre noch sinnvoller gewesen, denn dort liegt die Ursache der Probleme. Die DGKJ hatte sich am Gesetzgebungsverfahren bereits im Vorfeld durch schriftliche Stellungnahmen und als Sachverständige bei der entsprechenden öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Bundestages beteiligt. Es freut uns, dass die Kinder-PPR zur 3-stufigen Pflegepersonalbemessung im Rahmen der Pflegepersonal-Regelung (PPR 2.0) auf bettenführenden somatischen als auch auf intensivmedizinischen pädiatrischen Stationen im KHPflEG Berücksichtigung gefunden hat. Jedoch muss auch Personal in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege aufgebaut und ausgebildet werden. Die angekündigte Krankenhausreform kann für Kinderkliniken nur sinnvoll sein, wenn das DRG-System im Sinne der 1. Stellungnahme der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausfinanzierung entsprechend weiterentwickelt wird. In ihrer 3. und aktuellen Stellungnahme legte die Kommission erste Eckpunkte zur Reform der Krankenhausvergütung vor.  Aus dem darin empfohlenen einzurichtenden Sonderfonds soll ein Aufschlag von bis zu 20 % für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Pädiatrie und der Kinderchirurgie berechnet werden. Diesen Vorstoß begrüßt die DGKJ. Allerdings ist zur Stabilisierung der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendmedizin ein Aufschlag von mindestens 20 % notwendig. Ein geringerer Aufschlag würde nicht ausreichen, um die Versorgung auskömmlich zu finanzieren.

Kinder-Medizinprodukte schützen

Wie der Deutsche Ethikrat erst kürzlich bestätigte, wird den Interessen der Kinder in der Gesellschaft nicht die Rolle beigemessen, die ihnen zusteht. Dies zeigt sich u. a.  bei der EU-Verordnung zur Neuregulierung von Medizinprodukten. Mit der im Mai 2017 beschlossenen Medical Device Regulation (MDR), angestoßen durch den Brustimplantate-Skandal, sollen u. a. der Gesundheitsschutz und die Innovationsförderung durch neue Zertifizierungskriterien verbessert werden. Bis Mai 2024 gilt für die Medizinprodukte-Hersteller eine Übergangsfrist zur verpflichtenden Umsetzung der neuen Zertifizierungskriterien. Dies betrifft neben neuen Medizinprodukten bzw. medizinischen Verbrauchsmaterialien auch bereits langjährig bewährte Produkte, etwa die Pilokarpin-Gelscheiben zur Schweiß-Induktion beim Schweißtest im Rahmen des Neugeborenen-Screenings zur CF-Diagnose, bestimmte Herzkatheter für Neugeborene oder zentralvenöse Einschwemmkatheter für Frühgeborene.

Auch wenn die MDR zu einer wichtigen und richtigen Verschärfung der Anforderung für Medizinprodukte führt, droht sie in der Kinder- und Jugendmedizin einschneidende Versorgungslücken zu verursachen. Denn Hersteller scheuen das aufwändige, teure und für sie damit unwirtschaftliche (Re-)Zertifizierungsprozedere für Nischenprodukte in geringer Stückzahl, wie es Kindermedizinprodukte sind. Ohne zeitnahe Lösungen z. B. in Form von Sonderregelungen oder verlängerten Übergangsfristen für Nischenprodukte, für die es keine Alternativen gibt, drohen in der medizinischen Versorgung unserer jüngsten Patienten frappierende Lücken. Gemeinsam mit anderen pädiatrischen Fachgesellschaften steht die DGKJ hierzu in Austausch mit politischen Akteuren auf Bundes- und EU-Ebene und setzt sich für die Weiterproduktion der so lebenswichtigen Medizinprodukte ein.

Kindes- und Jugendwohl in Pandemie-Politik berücksichtigen

Kinder und Jugendliche haben in den letzten nunmehr fast 3 Jahren besonders unter den Konsequenzen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gelitten. Die Lockdownmaßnahmen mit Schulschließungen und sozialer Isolation haben zu einer beträchtlichen sekundären Krankheitslast in Folge der Pandemie mit somatischen, psychosomatischen, psychischen und psychiatrischen Störungsbildern geführt. Die politischen Entscheidungen in der Pandemie haben die Belange der Kinder und Jugendlichen nicht adäquat berücksichtigt. Dies gilt es in Zukunft zu verhindern - das Kindswohl muss unbedingt an erster Stelle stehen. Bestätigt wurde diese Forderung der DGKJ von Bundesfamilienministerin Lisa Paus bei der Vorstellung der Ergebnisse der Corona-KiTa-Studie und auch in der aktuellen Stellungnahme des Deutschen Ethikrates. Gesellschaft und Politik müssen die evidente Problemlage der betroffenen Jahrgänge aktiv angehen und dabei die Empfehlungen der Fachgesellschaften und verschiedener anderer Gremien aufgreifen. Kinder und Jugendliche müssen besser darin unterstützt werden, die individuellen Konsequenzen der Pandemie verarbeiten und tragen zu können – sei es in der Gesundheitsversorgung oder der Prävention.

Beschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel

Eine gesunde Ernährung und die dafür essenzielle Ernährungsbildung sind grundlegend für ein gesundes Aufwachsen und wichtige Teile der Prävention. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Koalition auf mehrere Maßnahmen geeinigt, um eine gesunde Ernährung im Kindesalter zu fördern. Dazu zählt die Beschränkung der an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel. Bisher konnte hier noch kein bedeutender Schritt erreicht werden. Die Festlegung eines solchen Werbeverbots durch die Bundesregierung wäre ein richtiges und wichtiges Signal im Sinne der Kinder- und Jugendgesundheit. Eines der Grundanliegen der DGKJ ist die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen für eine bessere Verhältnisprävention seitens der Bundespolitik. Wir hoffen, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in diesem Jahr die entsprechende Gesetzgebung auf den Weg bringt.

Die Belange unserer Kinder und Jugendlichen, insbesondere ihre gesundheitlichen, müssen den Raum in Politik und Gesellschaft bekommen, den es braucht, um ihnen ein sicheres und gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. Diesem Ziel hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention zwar verpflichtet, hinkt in der Umsetzung allerdings weit hinterher. Die DGKJ wird sich weiterhin unablässig auf politischer Ebene dafür einsetzen.

 

Priv.-Doz. Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der DGKJ

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