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Versorgungsdefizite: Erwachsen werden mit Seltener Erkrankung

24.02.2023

Eine Presseinformation der DGKJ-Kommission für Seltene Erkrankungen zum Tag der SE am 28. Februar.

Für Jugendliche endet mit dem 18. Lebensjahr eigentlich die Versorgung in der Kinder- und Jugendmedizin. Der Wechsel in die Erwachsenenmedizin stellt gerade Jugendliche mit einer Seltenen Erkrankung (SE) und deren Familien vor besondere Herausforderungen, da sie das medizinisch gewohnte Umfeld wechseln müssen, oft ohne dass eine aufnehmende spezialisierte Einheit in der Erwachsenenmedizin gefunden werden kann.

Viele Seltene Erkrankungen verlaufen chronisch und bedürfen einer lebenslangen medizinischen Versorgung. Eine Unterbrechung der Versorgung oder ein Informationsverlust erhöhen das Risiko einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes und können zu irreversiblen, mitunter lebensbedrohlichen Folgen führen. Ein strukturierter Transitionsprozess ist daher für die Kontinuität der Versorgung von größter Bedeutung und in der AWMF S3-Leitlinie Transition[1] beschrieben.  
Dennoch besteht weiterhin ein deutliches Versorgungsdefizit, insbesondere durch strukturell-organisatorische und finanzielle Defizite im sektoral organisierten Gesundheitswesen. Für Menschen und Familien mit SE stellt dies eine schwierige Situation dar, die zu inadäquater Behandlung führen und den Betroffenen große Angst machen kann.  

Fehlende Weiterbehandlungsmöglichkeiten
Die medizinische Versorgung von Kindern mit Seltenen Erkrankungen findet in der Regel aufgrund der häufig frühen Manifestation, Komplexität und Seltenheit der Erkrankungsbilder in hochspezialisierten, interdisziplinär arbeitenden pädiatrischen Strukturen statt. Zum Teil sind sehr aufwendige Untersuchungen oder komplexe Therapien erforderlich, und es können körperliche und mentale Beeinträchtigungen mit den Krankheitsbildern assoziiert sein.  

Blickt man auf die letzten Jahrzehnte zurück, haben sich Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten bei komplexen Seltenen Erkrankungen vielfach verbessert. Während sich die Strukturen in der Kinder- und Jugendmedizin diesen Veränderungen über einen längeren Zeitraum anpassen konnten und Versorgungsstrukturen und Expertennetzwerke entstanden sind, fehlen diese für viele Seltene Erkrankungen in der Erwachsenenmedizin nach wie vor. Entsprechend schwierig ist es, erwachsene Patienten mit Seltener Erkrankung adäquat zu betreuen, wenn sie die vormaligen pädiatrischen Strukturen verlassen (müssen). 

Transitionsprogramme und Transition bei Seltenen Erkrankungen: Translate-NAMSE
Zwar gibt es deutschlandweit kein einheitliches Transitionsmodell, jedoch haben sich unterschiedliche Konzepte lokal zumindest teilweise etabliert. So bietet z.B. das `Berliner Transitionsprogramm e.V.´ mit einer zentralen Lotsenstruktur wichtige Anhaltspunkte. Für dieses Modell ist das Vorhandensein von lokalen weiterbehandelnden Abteilungen notwendig. Eine Voraussetzung, die bei Seltenen Erkrankungen oft schlecht realisierbar ist.
Einen anderen Ansatz bietet das Transitionsprogramm `ModuS - Fit für den Wechsel´, welches anhand von Schulungsmodulen eine Stärkung des Wissenserwerbs über die eigene Erkrankung für chronisch erkrankte Jugendliche vorsieht und sich als Schulungsergänzung zur ärztlichen Beratung versteht. Beide beispielhafte Modelle lassen sich jedoch nicht problemlos auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit Seltenen Erkrankungen übertragen, da eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Weiterbehandler/-innen nur in seltenen Fällen realisierbar ist und sich Gruppenschulungen aufgrund der Seltenheit der Einzelerkrankungen oder aus infektions-prophylaktischen Gründen ebenfalls nicht umsetzen lassen.  

Im Rahmen des Innovationsfonds-Projekts Translate-NAMSE wurden genau diese besonderen Herausforderungen für Menschen mit einer Seltenen Erkrankung berücksichtigt und ein strukturierter Versorgungspfad für die Transition etabliert. Dieser Versorgungspfad verfolgt das Konzept, die jungen Menschen zu `Expertinnen und Experten´ der eigenen Seltenen Erkrankung zu machen und mittels passgenauer und strukturierter Schulung im Versorgungsbereich der Pädiatrie[2] die Gesundheitskompetenz bis zum Transfer zu verbessern.

Gleichzeitig gehört eine strukturierte Zusammenstellung des bisherigen Krankheitsverlaufes und wichtiger medizinischer Befunde zum Gesamtprozess. Im Innovationsfonds-Projekt Translate-NAMSE konnte sehr erfolgreich gezeigt werden, dass darüber eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und der Gesundheitskompetenz erreicht werden kann. Die Kosten lagen in ähnlicher Höhe wie für andere Transitionsmodelle. Für eine dauerhafte Verbesserung der Versorgung von jungen Menschen mit Seltenen Erkrankungen bedarf es jedoch noch einer Verbesserung außerhalb der pädiatrischen Strukturen an der Anschlussstelle zur Erwachsenenmedizin. Unter anderem soll das in der Konzeptentwicklung befindliche Innovationsfonds-Projekt B(e) NAMSE dazu beitragen, für die Transition eine strukturierte Koordination in der Erwachsenenmedizin in den ersten 12 Monaten nach dem Wechsel zu erproben.  

Auch wenn der große Erfolg der strukturierten Transitionsprozesse insbesondere für Menschen mit Seltenen Erkrankungen noch aussteht, zeigt sich zum einen, dass es Konzepte und Modelle gibt, die eine erfolgreiche Umsetzung der Transition erreichbar erscheinen lassen, zum anderen aber auch, wie hoch der tatsächliche Bedarf und wie wichtig damit die Arbeit in diesem Bereich auch in Zukunft ist. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass jegliche Transition scheitern muss, wenn keine geeigneten Versorgungsstrukturen in der Erwachsenenmedizin bestehen.

Es ist daher sehr wichtig, diese aufzubauen und langfristig zu sichern. Neben klassischen Zentren oder Spezialambulanzen für Erwachsene mit SE können auch altersgruppenübergreifende Versorgungsstrukturen unter Beteiligung von Pädiater/-innen und Erwachsenenmediziner/-innen einen Ansatz darstellen, der die Transition erleichtert und durch ein gemeinsames multiprofessionelles Team eine kosteneffiziente sowie ausfallsicherere Lösung darstellt.    

Ein Text der DGKJ-Kommission für Seltene Erkrankungen, Februar 2023


[1] S3-Leitlinie Transition von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/186-001
[2] Grasemann, C., Matar, N., Bauer, J. et al. Ein strukturierter Versorgungspfad von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin für Jugendliche und junge Erwachsene mit einer seltenen Erkrankung. Monatsschr Kinderheilkd 170, 61–69 (2022). https://doi.org/10.1007/s00112-020-00929-5


Pressekontakt

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ)
Dr. Sybille Lunau
Chausseestr. 128/129 | 10115 Berlin
Tel. +49 30 3087779-14
presse(at)dgkj.de

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