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DGKJ lud zum Runden Tisch Kinderarzneimittel-Engpässe

28.07.2023

Ein Bericht über den Austausch zur Frage „(Wie) lassen sich Engpässe bei Kinderarzneimitteln zukünftig vermeiden?“

Die extremen Lieferengpässe der letzten Monate nicht nur für Fiebersäfte und Antibiotika brachten am 25. Juli Vertreterinnen und Vertreter der pädiatrischen Fachgesellschaften, des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte, der Pharmaindustrie, des kinder- und jugendärztlichen Berufsverbands und von Elternvertretungen zusammen. Gemeinsame Frage des von DGKJ-Generalsekretär Burkhard Rodeck moderierten Runden Tisches: „(Wie) lassen sich Engpässe bei Kinderarzneimitteln zukünftig vermeiden?“

DGKJ-Präsident Prof. Dr. Jörg Dötsch gab einen Rückblick über den Mangel an Kindermedikamenten, der besonders während der enormen Infektwelle im letzten Winter Kinder, Eltern, Praxen, Kliniken und Apotheken belastete.

Das jüngst verabschiedete Arzneimittel-Lieferengpass-Bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) will hier Abhilfe schaffen. Wie es umgesetzt werden soll und welche weiteren regulatorischen Maßnahmen greifen könnten, erläuterte Dr. Michael Horn vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Er beschrieb die in den letzten Jahren geschaffenen Befugnisse des BfArM, wobei der Fokus mit der Anordnung von Kontingentierung oder Bevorratung zunehmend auf die Vorsorge von Lieferschwierigkeiten verlagert wird. Ein Kernstück ist die „Kinderarzneimittel-Liste“, die zugelassene Arzneimittel mit für die pädiatrische Dosierung geeigneten Wirkstärken und/oder in für Kinder geeigneten Darreichungsformen enthält sowie Parenteralia, welche ausschließlich in der Pädiatrie Verwendung finden. Diese können in ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen aufgenommen werden, wie es das BfArM gerade entwickelt. An der Entwicklung dieser Kinderarzneimittelliste war auch die DGKJ im Vorfeld mit ihren Konvent-Gesellschaften federführend beteiligt.

Zur aktuellen  Kinderarzneimittel-Liste auf der BfArM-Website

Thomas Müller vom Bundesministerium für Gesundheit ging auf weitere Ursachen für Engpässe ein wie dem wirtschaftlich begründeten Ausstieg aus bestimmten Produktionslinien oder aktuell die Zerstörung einer Pharmafabrik in den USA durch einen Tornado. Er legte die Verbesserungsmöglichkeiten für die Versorgung mit Kinderarzneimitteln dar, die das ALBVVG bietet: z.B. die Anhebung von Festbeträgen und weitere finanzielle Anreize für die Produktion und Lagerhaltung. Zudem stellte Herr Müller Maßnahmen bei Rabattverträgen vor und ein Pilotprojekt zur Diversifizierung der Lieferketten, das zunächst die Antibiotika erfasst. Für 2025 ist eine Evaluierung der Umsetzung des Gesetzes und der Regularien angesetzt.

Die Perspektive der pharmazeutischen Hersteller vertrat Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, dem Verband der Generika- und Biosimilar-Unternehmen. Herr Bretthauer begrüßte zunächst die regulatorischen Maßnahmen, die das ALBVVG für Kinderarzneimittel vornimmt. Marktverengung, nicht ausreichend resiliente Lieferketten und die drastische Zunahme von Abhängigkeiten in der Versorgung hatten ihm zufolge die Engpässe befördert. Das Hauptthema ist aus seiner Sicht der Kostendruck auf die Generika. Das Aufheben von Festbeträgen und Rabattverträgen und die Möglichkeit für Preisaufschläge werde eine gute, wenn auch nur kurzfristige Wirkung zeigen. Die Politik sei gefragt, um die Rahmenbedingungen für eine langfristige kostendeckende Produktion zu geben – „die Produktion von Fiebersäften dürfe bei den Unternehmen keine roten Zahlen schaffen“.

Philipp Zöller, geschäftsführender Gesellschafter der Firma InfectoPharm stellte die Finanzierung patentgeschützter Präparate in den Vordergrund. Am Beispiel der Penicillin-Säfte illustrierte er den Umsatzeinbruch während der Corona-Pandemie und die zugehörige Preiskaskade. Die Kalkulation der seit Jahren nicht veränderten Festbeträge und des Preismoratoriums gehe in der Praxis zulasten der Hersteller, minimiere bzw. negativiere die Gewinnmarge der Hersteller, sorge somit nicht für ausreichend Anreize für Produktion und Vertrieb von Kinderarzneimitteln und führe dazu, dass sich viele Hersteller vom Markt zurückgezogen haben.

Die Sicht der stationären Pädiatrie trug Prof. Dr. Tobias Tenenbaum von der DGPI bei. Er sieht für diesen Herbst eine gegenüber 2022 unveränderte Situation bei der problematischen Antibiotikaversorgung voraus. Für ihn ist essenziell, dass ein verlässliches Frühwarnsystem und eine verantwortliche Steuerung der Bevorratung greifen. Die Alternativliste zu nicht verfügbaren Antibiotika, die seitens der DGPI erstellt wurde, bleibe weiterhin eine wichtige Aufgabe der Pädiatrie.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands, ergänzte mit der Perspektive der ambulanten Versorgung. Er konstatierte ein Versagen der Gesundheitspolitik der letzten Jahre, welches die Patient/-innen nun auszubaden hätten. Der enorme Aufwand, verfügbare Arzneien zu recherchieren und zu organisieren, belaste den gesamten Praxisalltag. Kinder würden viel eher als vorher in Kliniken überwiesen, um dort gut versorgt zu werden, zudem seien Praxen wegen der Engpässe zu unwirtschaftlichem Verschreiben von Ausweichmedikamenten gezwungen.

In der anschließenden Diskussion meldeten sich die weiteren Aktiven zu Wort: So betonte Frau Baradari, Mitglied des Bundestags, die Zuspitzung des Problems durch globalpolitische Entwicklungen und die Folgen des Klimawandels auch für Bedarfe an Medikamenten und deren Produktionsbedingungen. Herr Bäumler vom GKV-Spitzenverband bestärkte die Entwicklung eines Frühwarnsystems. Frau Högl vom Kindernetzwerk wies auf den Mangel von Kinderarzneimitteln nicht nur im akuten, sondern auch im chronischen Bereich hin. Frau Rüdiger vom Apothekenverband ABDA beschrieb Möglichkeiten der weiterhin unterstützenden Zusammenarbeit, wie sie schon während der Infektwelle umgesetzt wurden. Die Datenbank „Kinder-Formularium“ mit evidenzbasierten Dosierungsempfehlungen und Off-Label-Anwendungen, die Frau Prof. Neubert von der DGKJ-Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter vorstellte, wurde als in der aktuellen Lage unverzichtbare Unterstützung geschätzt. Begrüßt wurde die Ankündigung von Herrn Zöller, dass die Firma InfectoPharm wesentlich mehr Antibiotika in den nächsten Monaten zur Verfügung stellen wird.

Zusammenfassend ergab sich Einigkeit über das Ausmaß der Problematik. Transparenz und Kooperation bei allen anstehenden Schritten würden unabdingbar sein, um kurz- und mittelfristig Wege zu finden, Kindern die benötigten Wirkstoffe zukommen zu lassen. Einig waren sich die Beteiligten aber auch, dass das ALBVVG nicht sofort wirken werde, sondern es hier einige Zeit über die nächste Infektsaison hinaus benötige, um Verbesserungen zu erzeugen. In dieser Übergangsphase aber würden sich neue Medikamente und die Kooperation mit den Apotheken positiv auswirken. Über die zeitlich drängende Phase hinaus aber müsse laut DGKJ-Präsident Dötsch auch die Fokussierung auf neue patentgeschützte Medikamente überdacht werden, um die zentrale Grundversorgung der Patientinnen und Patienten langfristig zu sichern. 

Der Runde Tisch der DGKJ soll kein einmaliger Austausch gewesen sein, die Aktiven werden von Seiten der DGKJ in einigen Monaten nochmals eingeladen.

Dr. Sybille Lunau, DGKJ-Geschäftsstelle

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