Appell der Jungen DGKJ



Appell der Jungen DGKJ

Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Behandeln wir sie auch so!

Mit großer Sorge beobachten wir als Kinder- und Jugendärzt*innen und Mitglieder der Jungen DGKJ die aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklung in dieser besonderen Zeit. Dies nehmen wir zum Anlass, unsere Gedanken in Form eines Appells zum Ausdruck zu bringen.

Wir möchten uns im Vorfeld klar von Coronaleugnern und Gegnern jeglicher Maßnahmen distanzieren und wünschen uns eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Thema. Auch spiegelt dieser Appell unsere persönlichen Erfahrungen wider und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Seit Februar 2020 begleitet uns nun SARS-CoV2 und die von ihm ausgelöste Lungenerkrankung COVID-19.

Seitdem stehen hauptsächlich zwei Aspekte im Vordergrund: „Wie kann die Verbreitung des Virus eingedämmt und wie die Wirtschaftskraft Deutschlands in dieser Pandemie erhalten werden?“. Der Infektionsschutz wird mittlerweile in fast allen Lebensbereichen maximal umgesetzt.

Die Mehrheit der ergriffenen Maßnahmen ist sicher richtig und wichtig. Jedoch sehen wir seit März 2020 Monat für Monat eine Zunahme mittlerweile schwer zu rechtfertigender massiver Einschränkungen und Gefährdungen des Kindeswohls. Wir benötigen dringend wissenschaftliche Studien zu Kindern und der von ihnen tatsächlich ausgehenden Ansteckungsgefahr.

Probleme, mit denen wir uns tagtäglich konfrontiert sehen, wie verzögerte Diagnosestellung von akuten Erkrankungen, gehäuftes Auftreten von Ketoazidosen bei Kindern mit Diabetes mellitus oder von Krampfanfällen bis hin zum Status epilepticus bei Kindern mit neuropädiatrischer Diagnose sind nur einige Beispiele für die Situation und wurden schon vielerorts genannt oder publiziert.

Versorgungslücken

Im Bereich der Sozialpädiatrie sehen wir bei chronisch kranken Kindern eine deutliche Verschlechterung der Versorgung, da notwendige Therapien wie Ergo-, Logo- und Physiotherapie nicht durchgeführt werden sowie Spezialsprechstunden nicht oder nur telefonisch oder auf digitalem Weg stattfinden. Darunter leidet die medizinische Betreuung massiv.

Im Bereich der Prävention konnten in manchen Städten Eltern mit Neugeborenen aufgrund fehlender Schutzausrüstung nicht vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst aufgesucht und betreut werden. Gerade in Problemvierteln ist dies oft der einzige Weg niederschwellig mit Familien in Kontakt zu treten, Hilfestellung anzubieten und frühzeitig Kindeswohlgefährdung aufzudecken.

Im Bereich des Kinderschutzes sehen wir uns als Kinder- und Jugendärzt*innen mit einer steigenden Zahl von Fällen konfrontiert, z.B. im Bereich der Kinderpornographie. Des Weiteren stellt der Infektionsschutz mancherorts eine kaum zu überwindende Hürde für die Jugendämter dar, ihre Arbeit gut durchführen zu können, da nur noch eingeschränkte Möglichkeiten für Besuche vor Ort und die Unterstützung der Familien bestehen. Viele Familien haben große Probleme sich zu organisieren, viele Eltern sind überfordert. Teilweise führt die Notwendigkeit zur Durchführung eines Coronaabstriches vor einer stationären Behandlung dazu, dass Eltern diese verweigern und dadurch ebenfalls der Kinderschutz gefragt ist.

Besuchsverbot in vielen Kinderkliniken

Dies hat zur Folge, dass Kinder, aber auch der betreuende Elternteil, längere Zeit von der übrigen Familie getrennt sind, was eine zusätzliche emotionale Belastung darstellt. Eltern haben keine Möglichkeit, sich in der Betreuung sowohl des kranken Kindes in der Klinik, als auch der gesunden Geschwisterkinder zu Hause abzuwechseln, wenn aktuell keine Möglichkeit der Kinderbetreuung gegeben ist, aber dennoch gearbeitet werden muss. Für manche Kinder, z.B. von Alleinerziehenden mit Geschwisterkindern, bleibt nur die Möglichkeit alleine in der Klinik zu bleiben. Viele Eltern verweigern oder beenden deshalb die stationäre Behandlung gegen ärztlichen Rat aus Angst vor psychischen Folgen für ihr Kind. Im Bereich der Neonatologie fehlt teilweise die Möglichkeit des Bondings zwischen Vätern und Frühgeborenen, wenn der Zutritt nur für ein Elternteil, die Mutter, gestattet ist.

Eltern meiden aufgrund von Angst vor Ansteckung Kinderarztpraxen, so dass die Basisversorgung im Sinne der Früherkennungsuntersuchungen und Impfungen teilweise nicht mehr gewährleistet werden kann. Diese Versorgungslücke stellt eine Gefahr dar.

Fehlende Schuleingangsuntersuchungen aufgrund der Überlastung des ÖGD werden billigend in Kauf genommen. Was passiert mit all den Kindern, welche vielleicht von einer Rückstellung profitiert hätten und nun ohne Präsenzunterricht lernen sollen?

Welche Folgen ein fehlender Besuch von Kindertageseinrichtungen und Schulen für unsere Kinder und Jugendlichen hat, ist bis jetzt völlig unklar. Aber wir wissen, dass ihnen neben ihren Freunden, dem Erwerb sozialer Kompetenzen und dem Lernen (im Spiel), auch der geregelte Tagesablauf sowie außerschulische Aktivitäten fehlen.

Für Kinder aus bildungsfernen Familien oder Familien mit Migrationshintergrund ist Schulunterricht essentiell und bietet mitunter die einzige Möglichkeit Deutsch zu lernen oder sich gut zu entwickeln.

Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und soziale Teilhabe!

Wir lernen am Modell und nicht online. Es entsteht ein kaum aufzuholendes Bildungsdefizit, was im weiteren Verlauf schlechtere Ausbildungs- und Berufschancen und somit einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status nach sich zieht.

Die Verschärfung der Maßnahmen schafft Verunsicherung in der Bevölkerung. Wir brauchen Perspektiven für die Zukunft, langfristige Pläne, die Entwicklung kreativer Lösungen.

Warum ist es nicht gelungen in einem Jahr ein deutschlandweites Konzept für Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen zu erarbeitet? Warum scheitert digitaler Unterricht auch nach all der Zeit noch an der Stabilität von Software und Versorgung mit Hardware? Warum werden selbst in einer Pandemie föderalistische Belange über das Wohl aller gestellt?

Was passiert mit der heutigen Generation der Kinder und Jugendlichen? Was bekommen sie vermittelt?

Welchen (Stellen-)Wert hat Bildung in unserer Gesellschaft, wenn wir sie unseren Kindern und Jugendlichen vorenthalten? Wer vermittelt ihnen unsere demokratischen Werte, wenn politische Bildung zu Hause stattfindet?

In dieser Krise werden letztlich bestehende Mängel eklatant! Alle Versäumnisse der Politik der letzten Jahre hinsichtlich unseres Gesundheitssystems, insbesondere der Pflege und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, der digitalen Entwicklung und der länderübergreifenden Zusammenarbeit, aber auch unseres Bildungssystems bestimmen den (Miss-)Erfolg der bisherigen Maßnahmen.

Auch von uns als Ärzt*innen, die wir selbst Eltern sind, wird erwartet, dass wir weiterhin für die Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen. Wenn unsere Kinder nicht (gut) betreut sind, können wir unsere gesellschaftliche Aufgabe nicht mehr wahrnehmen! Um weiterhin arbeiten zu können, brauchen wir Unterstützung in der Betreuung unserer Kinder, wie letztlich alle anderen Eltern auch!

Alle Fachgesellschaften DGPI, BVKJ, DGKJ und DAKJ weisen die Politik immer wieder darauf hin, dass die Kinder nicht die Treiber, sondern die Verlierer der Pandemie sind!

Warum werden wir nicht gehört?

Es ist Zeit, dass wir aufstehen – als Vertreter der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft!

Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft! Behandeln wir sie auch so!

Für die Junge DGKJ

Kristin Baumgart, Nora Karara, Franziska Krampe und Iris Eckhardt

 

 


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