Suchergebnis der Datenbank Jüdische Kinderärztinnen und -ärzte



Lucie Adelsberger

Dr. med., Kinderärztin, Internistin, Allergologin


Stadt / Region Berlin
Adresse Berlin-N 65, Chausseestr. 63
Geburtsdatum 12.04.1895
Geburtsort Nürnberg
Geschlecht (männlich/weiblich) weiblich
Sterbedatum 02.11.1971
Sterbeort New York
Schicksal Emigration
Biografische Angaben

1914-1919 Studium der Medizin u. Naturwissenschaft in Erlangen. Approbation 1920, Dissertation Erlangen 1923. 1919-1920 Cnopf'sches Kinderspital Nürnberg. 1921-1923 Kinderabt. Krankenhaus Friedrichshain Berlin (Magnus-Levy, Richter). 1924-1925 Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt Berlin (L.F.Meyer). 2. Mai 1925 Niederlassung. 1926-1927 Konsiliaria Säuglings-und Kinderwohlfahrt Wedding. 1925 Fachärztin Innere, 1926 Fachärztin Pädiatrie. Ab Nov. 1927 neben der Praxis wiss. Mitarbeiterin am Robert-Koch-Institut Berlin: Beobachtungsstelle für Überempfindlichkeitsreaktionen zus. mit dem Serologen Hans Munter (ca. 1894-1935). Erarbeitung eines Konzeptes der Kombination von klinischer und serologischer Allergieforschung. Zahlreiche wiss. Publikationen; Monographie: Überempfindlichkeits-Krankheiten, Berlin-Wien 1929. 1935 aktive Teilnahme am Internationalen Dermatologenkongreß in Budapest, ebenso (1938?) an einer Tagung der „Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in der tschechoslowakischen Republik“ an der II. Deutschen Kinderklinik in Prag (Mitteilung Prof. Heller, Chicago).

Entlassung aus dem Robert-Koch-Institut am 31.03.1933. RMK 1937+, DGfK MV 1935 gestrichen, Austritt 03.12.1935. Private Praxis bis 1938. Frühjahr 1938 Angebot einer Stelle als Lecturer an der Harvard University/Boston, Bakt. Abtlg., Prof. Francis M. Rackeman. “In the early fall of 1938” mit einem 10-Tage-Visum in den USA, jedoch Rückkehr zur Pflege ihrer kranken Mutter. 31.09.1938 Schließung der Praxis, wechselnde Wohnungen. Versuche privater Praxis. VZ 1939: Schöneberg, Eisenacherstr.98. 1938 „Krankenbehandlerin“ Bln.Charlottenburg, Knesebeckstr. 28. 1939 mißlungener Versuch, mit ihrer kranken Mutter zu emigrieren; 1943 Tod der Mutter. 06.05.1943 Verhaftung, Verbringung in das Sammellager Große Hamburger Str. 26 (Altersheim der jüd. Gemeinde).

„Wir fuhren eingeschlossen, auf einem Lastauto durch die Stadt, vorne am Wagen SS und hinten SS- Bewachung. Der offene Gefangenenwagen ... fuhr auf einem weiten Umweg durch die Linden, vorbei am Brandenburger Tor, durch den Tiergarten und durch Moabit mitten durch die Stadt, in der ich zwei Jahrzehnte gelebt und von der ich mich bei jedem Weggang mit Abschiedweh losgerissen hatte. Es war das gleiche Städtebild, noch standen die Kunstwerke, die Siegessäule, und noch dehnten sich die Rasenflächen des Tiergartens, und die Häuser reihten sich noch unzerbombt. Und dennoch war es eine andere Stadt. Ich kannte Enttäuschungen von Stätten, an denen ich hing und die ihr altvertrautes Antlitz gewandelt hatten und nur noch traumhafte Erinnerung waren und nie mehr Wirklichkeit wurden. Aber dies war etwas anderes, viel Ärgeres. Die Stadt war die gleiche, aber sie gehörte uns nicht mehr. Vom Wagen gab es kein Entrinnen, kein Aussteigen.

Die Straßen existierten nicht mehr für die Gefangenen der SS. Der Park, in dem man ehemals spazieren gegangen war, war nur noch Kulisse, die sich schnell verschob. Das Haus, darin man einst gewohnt hatte, stand feindselig da und ließ einen ungerührt passieren. Und die Menschen waren andere, nicht mehr Freunde, sondern Feinde. Gehässig starrten sie auf den Wagen mit den Gefangenen. Die Stadt, die ich einst geliebt hatte, war nicht mehr da. Es war eine fremde Stadt, schon vor Auschwitz“. (Adelsberger: Auschwitz).

17.05.1943 Deportation mit dem „38. Ost-Transport“ vom Berliner Bahnhof Putlitzstraße nach Auschwitz (406 Deportierte, 5 Überlebende; mit diesem Transport auch Erna Davidsohn und Paula Haymann - s.d.). Lucie Adelsberger wird als Ärztin der Kinder im Zigeunerlager und im Frauen-Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eingesetzt. Sie übersteht deren Vernichtung und den berüchtigten Rückmarsch im Januar in das KZ Ravensbrück. Befreiung am 02.05.1945.

„Durch einen irregeleiteten Fanatismus sind aus Menschen Bestien geworden, die nicht nur getötet, sondern mit Lust und Freude gequält und gemordet haben. Ein bißchen Salonantisemitismus, etwas politische und religiöse Gegnerschaft, Ablehnung des politisch Andersdenkenden, an sich ein harmloses Gemengsel, bis ein Wahnsinniger kommt und daraus Dynamit fabriziert. Man muß diese Synthese begreifen, wenn Dinge, wie sie in Auschwitz geschehen sind, in Zukunft verhütet werden sollen. Wenn Haß und Verleumdung leise keimen, dann, schon dann heißt es wach und bereit sein. Das ist das Vermächtnis derer von Auschwitz. Die Toten waren stark und sind im Untergange über sich hinausgewachsen mit Kräften, die ins Riesengroße zielten. Dürfen die Lebenden schwächer sein?“ (l.c.).

Juli 1945 durch Vermittlg. des British Red Cross (Jewish Relief Unit) nach Amsterdam. Gilt dort als staatenlos, darf nicht arbeiten.

Brief aus Amsterdam an SPSL 25.07.1945: “The last two years I have spent in Auschwitz and other concentration camps realizing that hell exists really on earth”.

Brief vom 14.40.1946 an Dr. Ursula Bohn, Berlin: „... daß mich Auschwitz nicht schwächer, sondern viel stärker gemacht hat, und daß ich zwar die Schlechtigkeit der Menschen in ihrem tiefsten Tief gesehen habe, mehr als ich ahnte, aber doch wieder an das Positive glaube, und mehr denn je an Gott, trotz allem, und das Leben bejahe, mehr denn je.“

Brief vom 27.09.1946 an Dr. Ursula Bohn, Berlin: „Deutschland hat mich bitter enttäuscht und ich kann nicht mehr zurück, innerlich, ebensowenig wie einer zu einer Frau, die ihn gemein betrogen hat. Der Glaube ist weg und alles zerbrochen ... Wir, die wir aus dem Inferno zurück auf die Erde gekommen sind, haben etwas erlebt, das uns von allen Menschen, die das nicht erlebt haben, irgendwie isoliert (vielleicht ist das ein Defekt von uns, aber es ist so). Und trotzdem, das ist das Erstaunliche, bejahe ich das Leben ... nicht zurückschauen, sondern vorwärts, aufbauen, helfen“.

Ende Oktober 1946 von Amsterdam nach New York. 1947-1949 Tätigkeit als Tbc-Ärztin im Montefiore Hospital, Country Sanatorium, Bedford Hills, N.Y.: " I am in a new life and I have to begin with all things, not only to buying the primitive daily utensils, but to start as a very, very small physician to earn my living. There are no residues of the former life. I am playing the third act of a German, that means stateless Jewess, the act after the concentration camp, when you find all people settled, all you know, but not yourself. Even that is not a cheerful play. Perhaps I need more courage ...". (Brief vom 21. 01.1947 an Dr. Ursula Bohn, Berlin).

1949 State Board Examination and Medical License. Ab August 1949 wiss. Tätigkeit im Research Department des Montefiore Hospital and Medical Center, New York, erneut wiss. Publ. Allergologie, Immunologie, insbes. zelluläre Frühdiagnose des Carcinoms. Kleine allergologische Privatpraxis 3539 Rochambeau Ave., NewYork 67, N.Y., um ihre Forschungsarbeit mit zu finanzieren. 02.11.1971 Tod an Mamma-Carcinom.

Quellen SPSL 389/4; VÄR; AMD 1950; PäA; JAMA 07.02.1972; DBG LA (dort fälschlich vermerkt: Schicksal ungeklärt); GV; Baader 1996/97; Hubenstorf 1994; Adelsberger 1956, 1995; Adelsberger/Seidler 2001, 2005; unveröfftl. Briefwechsel 45-71 mit Dr. Ursula Bohn, Berlin. RAR („Adelsberg“) Schwoch 2009

Abkürzungen, Literatur, Quellen:

Bibliographische Hinweise und Erläuterungen zur Datenbank

Mehr