Screening-Kommission
Jahresbericht 2022
Der Screeningkommission gehören aktuell an:
Dr. Oliver Blankenstein (Berlin), Prof. Dr. Orsolya Genzel-Boroviczény (München), Prof. Dr. Christoph Härtel (Würzburg), Prof. Dr. Georg F. Hoffmann (Sprecher) (Heidelberg), Dr. Burkhard Lawrenz (Arnsberg), Dr. Uta Nennstiel (Dachau), Prof. Dr. Rainer Rossi (Berlin), Prof. Dr. Ulrike Schara (Essen), PD Dr. Olaf Sommerburg (Heidelberg), PD Dr. Carsten Speckmann (Freiburg).
Im Berichtszeitraum 2022 hat die Kommission Beratungen zum Screening auf Familiäre Hypercholesterinämie durchgeführt sowie ihre Arbeiten zur Begleitung der „neuen“ Zielkrankheiten des Erweiterten Neugeborenenscreenings, angeborene Immundefekte, Sichelzellanämie und Spinale Muskelatrophie intensiv fortgesetzt.
Strategien zur Früherkennung der Familiären Hypercholesterinämie (FH), der mit einer geschätzten Prävalenzrate von 1:250 häufigsten monogen vererbten Erkrankung, sollten in Deutschland neu konzipiert und umgesetzt werden. Aktuell wird die FH in den meisten Fällen relativ spät (z. B. und nur sehr unvollständig im Rahmen der J1) diagnostiziert. Die S2k-Leitlinie der DGKJ zur Diagnostik & Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern & Jugendlichen von 2015 empfiehlt selektives Testen ab dem 2. Lebensjahr sowie eine universelle Cholesterinbestimmung im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung (vorzugsweise bei der U9). Eine Kombination von klinischen Kriterien, ergänzt um einen standardisierten Fragebogen, um Kinder zu identifizieren, die Familienangehörige mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Hyperlipidämie und somit ein höheres Krankheitsrisiko haben, und eine genetische Testung verspricht höhere Erfolgschancen, betroffene Kinder früh zu identifizieren. Dieser Ansatz sollte durch eine Pilotstudie evaluiert werden. Problematisch ist, dass eine große Anzahl von FH-Patienten im Kindesalter zurzeit bundesweit nicht betreut werden könnte. Nur wenige pädiatrische Kliniken betreiben eine Lipid- Ambulanz.
Das Screening auf angeborene Immundefekte (severe combined immunodeficiency, SCID) ist zum 10. August 2019 gestartet. Bis März 2022 wurden von rund 1,9 Millionen gescreenten Kindern 88 mit einer Zielerkrankung diagnostiziert. Die von der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Immunologie (API) ausgearbeitete und dann erfolgreich umgesetzte Organisation von geeigneten „spezialisierten immunologischen Einrichtungen“ zur Bestätigungsdiagnostik und dann Behandlung positiv getesteter Neugeborener erlaubte bei allen bislang positiv getesteten Kindern eine korrekte zeitnahe Abklärung des Verdachtes, den Beginn prophylaktischer Maßnahmen und ggf. einer kurativen Therapie mittels hämatopoetischer Stammzelltransplantation in den optimalen Zeitfenstern. Einzelne Screeningversager wurden sorgfältig aufgearbeitet und dann Screeningprozesse optimiert. Die Inzidenz von SCID, anderen T-Zelldefizienzen sowie syndromalen Immunschwächen lag mit wenig über 1:20.000 deutlich höher als zuvor für Deutschland dokumentiert, bei hohem prädiktivem Wert eines positiven Screeningbefundes.
Seit dem 01.10.2021 ist das Screening auf Sichelzellkrankheit (SCD) Teil des Erweiterten Neugeborenen-Screenings. Sowohl beim Screening für SCD wie auch SMA resultieren aus den Screeningverfahren keine bzw. nur wenige analytisch falsch positive Befunde (außer möglicher Probenverwechslung), sodass die Informationen der Familien und Bahnung der Bestätigungsdiagnostik und frühen Behandlung in spezialisierten Zentren direkt nach eindeutigem Nachweis aus der Erstkarte in den Screeninglaboren erfolgen kann und soll. Für das SCD haben die DGKJ und GPOH anhand von Kriterien, die die Qualifikation einer Klinik für die Versorgung von Patienten mit SCD belegen, eine Liste entsprechender Kliniken erstellt, die seit Screeningbeginn am 01.10.2021 zur Verfügung steht.
Das Screening auf SMA wird ebenfalls seit dem 01.10.2021 im Rahmen des Neugeborenen-Screenings durchgeführt. Es ist ähnlich komplex, aufwändig und zeitkritisch wie das Screening auf SCID und SCD (s. o.). Nur eine klare Strukturierung der Konfirmationsdiagnostik und Therapie sowie der Langzeitkontrollen dieser Kinder in spezialisierten neuromuskulären/gentherapeutischen Zentren kann die notwendige hohe Prozessqualität gewährleisten. Die Gesellschaft für Neuropädiatrie hat anhand von Kriterien, die die Qualifikation einer Klinik für die zeitnahe vertiefende Diagnostik und Versorgung von Patienten mit SMA belegen, eine Liste entsprechender Kliniken erstellt. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf Erfahrungen mit einer Bestimmung der Zahl der SMN2-Kopien- Zahl innerhalb weniger Arbeitstage sowie den neuen Therapien gelegt. Beides ist essenziell, um den bei der häufigsten SMA Typ I schnell fortschreitenden Untergang von Motoneuronen so rasch wie möglich zu stoppen. Erste differenzierte Daten legen nahe, die Zeitabläufe bis zur Vorstellung in den spezialisierten Zentren bzw. bis zum Therapiebeginn noch weiter zu optimieren.
Prof. Dr. Georg F. Hoffmann
Sprecher